formnext, Frankfurt a.M.
Fachmesse für Additive Manufacturing und die nächste Generation der intelligenten industriellen Produktion
18. bis 21. November
www.messefrankfurt.com
Bilder: DGH
Industrielle Bildverarbeitung in Verbindung mit KI machts möglich: Die Technologie prüft automatisiert Schweissverbindungen bei Rohkarossieren und identifiziert Anomalien. Der spanische Automatisierungsspezialist DGH hat eine solche Anwendung für die Automobilindustrie entwickelt. Diese verbessert die Konsistenz, Geschwindigkeit, Zuverlässigkeit und Genauigkeit des gesamten Inspektionsprozesses – und zwar vollständig autonom. Die Bildverarbeitungslösung wurde von DGH mit den Softwareprodukten MVTec HALCON und dem Deep Learning Tool des Münchner Unternehmens MVTec entwickelt.
In der Automobilproduktion gelten hohe Qualitätsstandards. Dies trifft natürlich auch auf Schweissprozesse an der Rohkarosserie (Body in White) zu. Die Bedeutung der Stabilität der Karosserie ist selbsterklärend. Spannender ist die Frage, wie die hohe Qualität bei Schweissverbindungen sichergestellt werden kann – und zwar automatisiert und lückenlos. Die Herausforderung liegt nämlich darin, dass viele verschiedene Defekte auftreten können, welche die Qualität der Karosserie beeinträchtigen. So müssen beispielsweise Risse, unvollständige Schweissnähte und unregelmässige Schweissmuster präzise identifiziert werden. Genau diese Herausforderung ging die DGH Group an. Das spanische Unternehmen, das seinen Hauptsitz in Valladolid hat und kürzlich in die Groupe ADF integriert wurde, unterstützt eine Vielzahl von Industriesegmenten mit innovativen Produkten. Herausgekommen ist eine Inspektionsanlage, innerhalb derer automatisiert Bilder von Schweissverbindungen aufgenommen werden. Diese werden dann sofort von den KI-basierten Algorithmen von MVTec HALCON und der DGH-Bildverarbeitungssoftware überprüft. Die Software übermittelt die Ergebnisse – OK oder NOK – an die SPS. Diese steuert, wie dann entsprechend mit der Karosserie weiterverfahren wird. HALCON ist die Standardsoftware für die industrielle Bildverarbeitung (Machine Vision) aus dem Hause MVTec. Das Familienunternehmen mit Sitz in München entwickelt seit der Gründung im Jahr 1996 hardwareunabhängige Bildverarbeitungssoftware für industrielle Anwendungen und zählt zu Technologieführern in diesem Bereich – auch weil das Unternehmen verschiedene leistungsstarke Deep-Learning-Algorithmen bietet.
Deep Learning in der Produktion
Deep Learning ist eine Spielart der Künstlichen Intelligenz. In der industriellen Bildverarbeitung ermöglicht Deep Learning die Umsetzung von immer mehr Anwendungen, auch solchen, die bislang nicht möglich waren. Darüber hinaus kann die Leistung bestehender Applikationen erheblich verbessert werden. Diese Entwicklungen machte sich auch die DGH Group zunutze. Im Auftrag eines grossen französischen Automobilkonzerns entwickelte das Experten-Team der DGH Group die automatisierte Anlage zur Inspektion von Schweissverbindungen durch Metall-Inertgas-Schweissens (MIG-Schweissen). «Bislang wurde die Prüfung immer von langjährigen Mitarbeitern durchgeführt. Denn es ist nicht immer einfach zu erkennen, ob die Qualität der Schweissverbindung der unterschiedlichen Verfahren OK ist. Bei der Umsetzung der neuen Anlage haben wir daher die Erfahrung der Mitarbeiter einfliessen lassen. Und zwar haben wir mit ihrem Wissen der zugrunde liegenden Deep-Learning-Netze trainiert. Die geforderten robusten Erkennungsraten sind nur durch den Einsatz von Deep Learning möglich,» erklärt Guillermo Martín, Innovation & Technology Director bei DGH. Das primäre Ziel bei der Umsetzung war es, einen sehr hohen Qualitätsstandard aller Schweissnähte zu erreichen. Daneben sollten durch die neue, autonome Qualitätsinspektion die grundsätzlichen Vorteile der Automatisierung zum Tragen kommen. Nämlich eine höhere Geschwindigkeit, Zuverlässigkeit, Genauigkeit sowie klare Konsistenz bei der Entscheidung – im Gegenteil zur Subjektivität der Entscheidung bei Menschen.
Saubere Prozessintegration der industriellen Bildverarbeitung
Die Umsetzung einer entsprechenden Anlage war mit einigen Herausforderungen verbunden. «Für uns war klar, dass wir das System auf Basis von Machine Vision umsetzen müssen. Sensoren oder klassische 2D-Vision Systeme scheitern an der Komplexität der Schweissnähte. Die erste Herausforderung war es somit, eine tragfähige Lösung zu entwickeln und die verschiedenen Arten von Defekten sicher zu erkennen. Ausserdem war es notwendig, und darin lag die zweite Herausforderung, das Wissen der erfahrenen Mitarbeiter in dieses System, eine Deep-Learning-Applikation, zu übertragen. Die dritte Herausforderung bestand schliesslich darin, die Inspektionsprozesse in kurzer Zeit durchzuführen. Grund dafür sind die eng getakteten Zykluszeiten,» erklärt Guillermo Martín. Die nun umgesetzte Anlage bei dem französischem Automobilhersteller arbeitet wie folgt: Wenn eine Karosserie an der Kontrollstation ankommt, löst die SPS verschiedene Kontrollvorgänge aus. Wenn die Station einen Auslöser empfängt, nehmen die angebrachten 2D-Kameras einzeln oder nacheinander Fotos von den Schweissverbindungen auf und übertragen diese per GigE-Vision-Protokoll an die Machine-Vision-Software, wo diese verarbeitet werden. Geprüft wird, ob Anomalien rund um die Schweissnähte zu erkennen sind. Die Anlage ist in der Lage, unterschiedliche Schweissfugen, -nähte und -punkte, die in diversen Schweissverfahren entstanden sind, verlässlich zu prüfen.
Im Anschluss werden die Daten an die SPS gesendet und die entsprechenden Ergebnisse auf einem Bildschirm visualisiert. Die von der DGH Group entwickelte Inspektionsanwendung wurde auf einem Industrie-PC entwickelt und das System überwacht kontinuierlich die Kommunikation mit der SPS der Fertigungsanlage sowie mit mehreren 2D-Kameras. Das Herzstück des Setups bildet die Machine-Vision-Software MVTec HALCON.
Deep-Learning-Methoden aus dem Hause MVTec
Um die Defekte verlässlich zu erkennen, werden von der Bildverarbeitungssoftware zwei Deep Learning-Methoden genutzt. Zunächst kommt «Instance Segmentation» zum Einsatz, um auf den aufgenommenen Bildern die relevante Stelle, also die Schweissnaht, zu lokalisieren. Diese Deep-Learning-Technologie ist in der Lage, Objekte pixelgenau verschiedenen, eintrainierten Klassen zuzuordnen. Im nächsten Schritt kommt «Anomaly Detection» zum Einsatz. Die Deep-Learning-basierte Anomalieerkennung ermöglicht die automatisierte Oberflächeninspektion und erkennt zielsicher Abweichungen, also Defekte, jeglicher Art. «Anomaly Detection hatte für uns zwei entscheidende Vorteile: Auf der einen Seite sind die Erkennungsraten sehr hoch und robust. Auf der anderen Seite war das Training der zugrundeliegenden neuronalen Netze einfach. Denn es waren hauptsächlich «Gut-Bilder» der Schweissverbindungen, also Aufnahmen ohne Defekte, für das Training der Deep-Learning-Netze notwendig. Das Netz zur Erkennung von Anomalien wird nur mit guten Bildern trainiert. Das Vorhandensein von defekten Bildern ist zwar keine Voraussetzung für die Anomalieerkennung, einige wenige defekte Bilder können jedoch helfen, den optimalen Schwellenwert zur Unterscheidung zwischen guten und defekten Bildern zu finden. Dieser Schwellenwert wird auf den Anomalie-Score angewendet, der das Ergebnis des Anomalie-Erkennungsnetzes ist. Die Bestimmung des Schwellenwerts ist jedoch nicht Teil des Trainings. Wir haben so nur eine geringe Anzahl von Bildern benötigt. Das ist sehr praktisch, da diese schnell und einfach vorliegen. Bilder mit Defekten sind deutlich schwerer zu organisieren, ganz zu schweigen davon, dass es unmöglich ist, Bilder von sämtlichen Defekten zu erhalten. Hier hat Deep Learning einen klaren Vorteil», erklärt Guillermo Martín. In Bildern von Schweissnähten, die sich von den eintrainierten Bildern unterscheiden, werden die Anomalien beziehungsweise Defekte zuverlässig erkannt. Wie gross das Delta zwischen OK und NOK dabei ist, bestimmt der Schwellenwert. Der Schwellenwert ist ein Parameter innerhalb von Deep-Learning-Methoden, der regelt, bis zu welchem Wert das zu prüfende Bild von dem trainierten «Gut-Bild» abweichen darf. Diesen Parameter kann der Nutzer frei einstellen und hat somit die Möglichkeit, Transparenz in die «Black-Box» der Entscheidungsfindung von Künstlicher Intelligenz zu bringen.
Wichtige Vorarbeit bei Deep Learning
Die Technologie Deep Learning erfordert, dass vor dem Betrieb die neuronalen Netze mit Bildern trainiert werden. Diese Bilder müssen für das Training zunächst gelabelt werden. Für diese Arbeiten im Vorfeld nutzte DGH das Deep Learning Tool (DLT) von MVTec. Mit dem kostenlosen Tool können Bilddaten einfach gelabelt und anschliessend bequem trainiert werden. Dazu hat DGH zunächst Bilder von Schweissnähten zusammengetragen. Hierbei kam auch Wissen der Mitarbeiter zum Einsatz. Diese prüften jedes Bild, um sicherzustellen, dass hauptsächlich «Gut-Bilder» für das Training herangezogen werden. Ein falsch verwendetes «schlechtes Bild» würde die Ergebnisse des Trainings verfälschen. Die «Gut-Bilder» werden anschliessend in das DLT geladen und dort speziell für die Technologie Instance Segmentation gelabelt. Dazu steht das Werkzeug «Smart Label Tool» zur Verfügung. Der Anwender muss nur mit der Computer-Maus in den Bereich der Schweissverbindung klicken und das Tool umrahmt automatisch die Schweissverbindung. Somit ist sichergestellt, dass das DLT im Anschluss ausschliesslich die relevanten Bereiche des Bildes trainiert. Auch bei diesem Schritt waren die Mitarbeiter des Automobilherstellers involviert. Sie wussten, welche Bereiche innerhalb des Bildes wichtige Informationen über die Schweissverbindung enthalten und wie gross der entsprechende Rahmen um die Schweissverbindung sein muss. Nachdem die Bilder gelabelt wurden, erfolgt ein Split. Dabei wird der Bilddatensatz, in der Regel im Verhältnis 50 Prozent für das Training, 25 Prozent für die Validierung und nochmals 25 Prozent für das Testen, unterteilt. Das Training, die Validierung und auch das Testen erfolgen im DLT einfach und bequem per Knopfdruck. Anschliessend wird das trainierte Modell gespeichert und durch die nahtlose Verbindung des DLTs zu HALCON in die Machine-Vision-Software geladen. Nun ist die Software bereit für den Betrieb.
Machine-Vision-Software als Kernkomponente der Inspektionsanlage
«Wir bei DGH arbeiten seit über zehn Jahren mit MVTec zusammen und wissen daher um die leistungsstarken Tools und Algorithmen. Deswegen haben wir uns entschieden, auch bei diesem Projekt MVTec HALCON zu vertrauen,» verrät Guillermo Martín. Die Herausforderungen bezüglich Training und die Geschwindigkeit aufgrund der eng getakteten Zykluszeiten wurden schon genannt. Daneben gab es eine weitere Anforderung an die Machine-Vision-Software: Die Umgebung ist aufgrund von reflektierenden Metalloberflächen und den unterschiedlichen Lichtverhältnissen schwierig.
Die DGH Group war in der Lage sämtliche Herausforderungen zu meistern und eine Anlage mit der gewünschten hohen Qualität zu liefern. «Anfang 2024 wurde die erste Anlage im Werk des Automobilherstellers in Betrieb genommen. Nachdem diese erfolgreich lief, haben wir im April 2024 vom selben Hersteller eine neue Anfrage zur Umsetzung einer zweiten Anlage zur Inspektion von Schweissverbindungen erhalten,» freut sich Guillermo Martín. Insbesondere die Ziele in Zeiten des Fachkräftemangels die Abhängigkeit von Fachkräften für Qualitätsprüfungsprozesse zu verringen und in Folge den Grad der Automatisierung zu steigern wurde erreicht. Die Automatisierung auf Basis von Machine Vision und Künstlicher Intelligenz hat nachweislich Fehler minimiert und eine konsistente und zuverlässige Erkennung von Schweissfehlern gewährleistet. Deswegen glaubt Guillermo Martín auch daran, dass es trotz einer Vielzahl von bereits im Einsatz befindlichen Bildverarbeitungssystemen in verschiedenen Branchen und Fertigungsprozessen noch Wachstumspotenziale gibt – etwa für Deep-Learning-Lösungen in besonders anspruchsvollen und komplexen Anwendungen.
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