Um die Potenziale von Industrie 4.0 voll ausschöpfen zu können, braucht es offene Standards. Schneider Electric hat deshalb den EcoStruxure Automation Expert für hardwareunabhängige Automatisierung lanciert.

Ausgabe 05 | 2021

Hardwareunabhängig Automatisieren

Michael Gieselmann, Schneider Electric GmbH

Keine Frage, die Potenziale von Industrie 4.0 sind riesig. Mehr Flexibilität, mehr Effizienz und, gerade jetzt oft wünschenswert, mehr Resilienz für Fertigung und Prozesse sind für viele Industrieunternehmen essentiell, um künftig wettbewerbsfähig bleiben zu können. Doch die konsequente Weiterentwicklung in Richtung IIoT bleibt gehemmt.

Viele Erstausrüster (OEM) sind nach wie vor an proprietäre Automatisierungssysteme gebunden und auch Endkunden fällt die Migration zu einer neuen Steuerungsgeneration oder einem anderen SPS-Anbieter häufig sehr schwer – gerade mit Hinblick auf die Amortisation einer installierten Lösung. Wirklich herstellerunabhängige Systeme, bei denen die Automatisierungssoftware ­eines Herstellers auf der Steuerung eines anderen laufen kann, sind bisher rar. Viele Vorteile, die sich damit in Sachen Energieeffizienz, Engineering, Nachrüstung, Flexibilität und Service für die Automatisierung bieten würden, lassen sich so schlichtweg nicht nutzen. Schneider Electric als Pionier einer grünen und digitalen Industrie der Zukunft setzt aus diesem Grund auf einen neuen, offenen Standard. Auf Basis von Norm IEC 61499 hat der Techkonzern mit dem EcoStruxure Automation Expert ein Softwaretool entwickelt, das visionäre OEMs und Endkunden schon heute ganz konkret von den Vorteilen universeller Automatisierung profitieren lässt.

Komplexe Maschinen, komplexe Herausforderungen
In vielen Industriezweigen haben wir es heute mit äusserst komplexen Maschinen und Fertigungslinien zu tun – zum Beispiel in der Lebensmittel- und Verpackungsindustrie. Gerade die industrielle Verpackung von Konsumgütern ist eine diffizile Aufgabe. Viele unterschiedliche maschinelle Anwendungen, wie Förderbänder, Greifroboter, Pumpen und Abfüller, die alle von unzähligen einzelnen elektrischen Motoren angetrieben werden, müssen automatisiert und passgenau ineinandergreifen. Damit gestaltet sich die Orchestrierung einer wettbewerbsfähigen Produktionslinie heute als sehr zeit- und kostenintensiv. Schliesslich gilt es, alle verbauten mechatronischen Komponenten, cyberphysischen Systeme oder Module inklusive ihrer einzelnen SPS-Systeme detailliert einzustellen und nach und nach in den Gesamtablauf zu integrieren. Gerade wenn dabei Steu­erungen verschiedener Hersteller und/oder Generationen zum Einsatz kommen, ist das ein sehr aufwändiges Unterfangen – das nicht nur viel Zeit und Geld kostet, sondern auch hochgradig spezialisiertes Fachwissen erfordert, nur um die Kommunikation zwischen verschiedenen Systemen aufzubauen. Gleichzeitig sehen sich aber gerade die Lebensmittel- und Verpackungsindustrie heute mit hohen Anforderungen an Produktivität und Agilität konfrontiert. Grosse Produktvielfalt, saisonale Sortimente, geringe Losgrössen und sprunghaft schwankende Nachfragen verlangen einer Anlage viel ab. Schnelle Time-to-Market- sowie Engineering-Zeiten können da einen enormen Wettbewerbsvorteil bedeuten. Und genau hier setzt der EcoStruxure Automation Expert an: Auf Basis universeller, softwarezentrierter Automatisierung bleiben dem Anwender und Programmierer bei der Modellierung einer Industrieanwendung viele langwierige Routine-Arbeiten erspart.

Paradigmenwechsel für die industrielle Automatisierung
Auch wenn herkömmliche Automatisierungslogiken der Branche über viele Jahre einen grossen Nutzen gebracht haben – für eine neue Generation an Automatisieren reichen die bisherigen Standards nicht aus. Für eine noch stärkere und durchgängigere Verzahnung von OT und IT braucht es einen veritablen Paradigmenwechsel. Und angesichts immer rechenleistungsstärkerer Computer und intelligenter Softwareprogramme ist der Druck für eine Veränderung heute so gross wie nie. Vieles von dem, was sich in der IT über Jahre bewährt hat, lässt sich jetzt auch für die Automatisierung nutzen. Im Sinne von IEC 61499 müssen Engineering und Orchestrierung automatisierter Anwendungen zum Beispiel nicht länger von den physischen Hardware-Gegebenheiten her gedacht werden. Noch bevor überhaupt ein einziges Stück Stahl und Elektrotechnik verbaut wird, lässt sich eine Anwendung rein softwareseitig realisieren.

Hardwareunabhängig modellieren mit Funktionsbausteinen
Für die rein softwareseitige Modellierung von automatisierten Anwendungen sieht IEC 61499 eine ganze Palette an vorgefertigten Funktionsbausteinen vor (zum Beispiel für eine Pumpenanwendung). Diese lassen sich im EcoStruxure Automation Expert ganz einfach per sogenanntem «single line engineering» rein grafisch miteinander verbinden. Ein automatischer Plausibilitätscheck sowie elaborierte Simulationsmöglichkeiten geben dann in der virtuellen Softwareumgebung sofort darüber Aufschluss, ob und wenn ja, wie produktiv und effizient die real ausgelegte Anlage funktionieren würde. Die softwareseitig modellierten Programmstrukturen lassen sich gemäss IEC 61499 dann im Anschluss frei und herstellerunabhängig auf die jeweiligen realen Anwendungskomponenten verteilen – seien es nun Frequenzumrichter, speicherprogrammierbare Steuerungen, IPC’s, Windows/Linux-Rechner oder kleine Einplatinencomputer.
Die komplette Konfiguration der Kommunikationsschnittstellen zwischen mehreren Steuerungen wird dabei selbstständig durch den EcoStruxure Automation Expert übernommen. Diese in proprietären Systemen sehr aufwändige Routinearbeit entfällt vollständig. Ausserdem besteht für den Programmierer innerhalb der Softwareumgebung jederzeit Klarheit über die Abhängigkeiten der verschiedenen Module und Komponenten. Auf diese Weise lässt sich das Engineering nicht nur erheblich beschleunigen und vereinfachen, der Spielraum für Fehler wird auch stark reduziert.

Plug and Play für die Automatisierung
Auch bei einem Austausch von Komponenten oder im Fall von Erweiterungen und modu­laren Umbauten kommt die automatische Schnittstellenkonfiguration durch den Eco­Struxure Automation Expert zum Tragen. Indem neue und alte Anlagenkomponenten nur einmal konfiguriert und dann die Kommunikation zwischen den Systemen automatisch umgesetzt wird lässt sich auch die softwareseitig modellierte Programmstruktur frei auf die neue Hardware aufspielen lassen. So können Anwender von einem Plug-&-Play-Prinzip profitieren. Die gegenwärtig meist noch sehr zeitaufwändig programmierte Querkommunikation zwischen Steuerungen entfällt und die Anlage ist selbst nach Umbauten und Erweiterungen praktisch unmittelbar wieder betriebsbereit. Und noch ein weiterer Pluspunkt in Sachen Ersatzteilmanagement: Dank der Herstellerunabhängigkeit müssen weniger Komponenten in weniger Varianten vorrätig gehalten werden und der Aufwand für Bestellwesen und Logistik wie auch die Kapitalbindung durch Lagerbestände sind deutlich minimiert.
Nicht nur die rein PC-basierte Nutzung von Hardware sowie das Plug-and-Play-Prinzip sind Beispiele dafür, wie sich IT-Techno­logien für die Automatisierungsbranche lohnen können. Wie in der IT-Welt üblich, ermöglicht IEC 61499 auch für die Automa­tisierung von Maschinen ein grundlegend eventbasiertes Modell. Denn etwa 80 Prozent des heute üblichen Codes einer zyk­lischen SPS benötigt keine Echtzeit, sondern ist genau genommen eventbasiert. Mit dem EcoStruxure Automation Expert ist es deshalb möglich, diesen Code nicht mehr in ein zyklisches Korsett zwängen zu müssen, sondern wirklich eventbasiert zu behandeln. Zusammengefasst mit «Right Time statt Real Time» ist damit gemeint, dass Programme nicht länger zwingend zyklisch abgearbeitet werden müssen, sondern bestimmte Aufgaben erst dann ablaufen, wenn vorher festgelegte Maschinenzustände sie auslösen. Dies verringert auch die CPU-Last. Dazu sind die Funk­tionsbausteine gemäss IEC 61499, neben den Datenschnittstellen, zusätzlich mit Ein- und Aus-
gängen für Events ausgestattet.

Neue Automatisierungswelten
Auch wenn offene Automatisierung nach IEC 61499 für viele noch Neuland ist, die Möglich­keiten, die sich damit für und aus ­einer durchgängigen IIoT-Vernetzung bieten, sind enorm – und gehen noch weit über eventbasiertes Modellieren hinaus. Zum einen ist da die nahtlose Einbindung der OT in die IT. Indem Module, cyberphysische Systeme und mechatronische Komponenten komplett offen miteinander vernetzbar sind, stehen sie der Softwaree­bene mit maximaler Transparenz zur Verfügung. Auch Daten, die bisher nicht genutzt werden konnten, lassen sich nun nutzen. Alle Informationen aller mechatronischen Einheiten liegen im EcoStruxure Automation Expert an einem zentralen Ort vor und können barrierefrei verwertet werden. Damit ist der Einsatz zusätzlicher Softwarehelfer, wie beispielsweise dem EcoStruxure Machine Advisor oder Digital Twin-Applikationen, noch wirksamer und unkomplizierter möglich.
Zum anderen begünstigt eine softwarezentrierte Modellierung von Automatisierungsvorhaben natürlich auch die Entstehung neuer Geschäftsmodelle. Indem sich durch die konsequente Umsetzung von IEC 61499 eine immer grössere Unabhängigkeit von der Steuerungshardware ergibt, gewinnen mächtige Software­lösungen zunehmend an Bedeutung. Hier lassen sich etwa Abo-Modelle denken, über die man laufzeitabhängig die Lizenz für bestimmte branchenspezifische Applikationen erwerben kann. Kunden könnten hier von stets aktuellen und entsprechend cybersicheren Programmen mit elaborierten Analysefunktionen profitieren.

Fazit
Für Schneider Electric stehen die Vorzeichen heute ganz klar auf Universal Automation, einer universell nutzbaren Automatisierung. Der Tech-Konzern sieht in einer hardwareunabhängigen, softwarezentrierten Automatisierung eine wesentliche Grundbedingung für die wirklich grüne und digitale Industrie der Zukunft. Viele Vorteile, die sich zum Beispiel mithilfe von intelligenten Softwareservices schon heute für gesteigerte Produktion und Effi­zienz nutzen liessen, sind auf durchgängige Datentransparenz und universelle Automatisierungslogiken angewiesen. Und die Nachfrage nach smarten IIoT-Technologien ist gross: Angesichts der Anforderungen an Time-to-Market und Flexibilität, mit denen sich viele Betriebe heute konfrontiert sehen, ist die Zeit längst reif für einen Paradigmenwechsel. Denn eines ist klar: Wie der EcoStruxure Automation Expert von Schneider Electric beweist, stehen die innovativen Lösungen für den nächsten Entwicklungsschritt schon bereit. Der von digitalen Devices und Greta Thunberg inspirierte Nachwuchs wird sich mit einem Business-as-Usual nicht mehr zufriedengeben.

ZUM AUTOR
Michael Gieselmann
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