Die an einem Fertigungsprozess beteiligten Aggregate.

Ausgabe 04 | 2021

Wann gilt Industrie 4.0 als gescheitert?

Maschinenfabrik Reinhausen

Die Vernetzung eines historisch gewachsenen Maschinenparks ist ein «Sammelsurium» und gleicht einem Häuserkampf, der pro Maschine gewonnen werden muss.

Zusätzlich entstehen durch diesen babylonischen Sprachwirrwarr in einem beliebig gemischten Maschinenpark unerklärliche Seiteneffekte, die am Ort der Softwarenentwicklung nicht reproduzierbar sind!
Ein allgemein in der Fertigung mit NC-Maschinen vorzufindendes Problem war es, beziehungsweise ist es immer noch, dass die unterschiedlichen, an ­einem Fertigungsprozess beteiligten Aggregate (NC-Maschinen, Werkzeugeinstellgeräte, Lagersysteme, usw.) proprietäre Daten-
formate verwenden und eine aggregatübergreifende Bereitstellung der Prozessdaten regelmässig sehr schwierig ist.

Vision
Als einfaches Erfolgsbeispiel kann die Druckerinstallation dienen. Unter Windows XP, oder früher, war eine Druckerinstallation immer ein ähnliches #Gefrickel. Zu Zeiten von Windows 10 konfiguriert sich ein neu angesteckter Drucker vollkommen selbst (Plug & Play).
Mit «Plug & Produce» soll dieses Prinzip in die Fabrikhallen übertragen werden, denn dadurch liessen sich CNC-Maschinen und Fertigungsanlagen ebenso einfach in Betrieb nehmen, weil sie sich quasi ebenso selbstständig konfigurieren würden.

Umsetzung
Damit die Vision «Plug & Produce» Wirklichkeit werden kann, muss es gelingen, dass alle Hersteller von vernetzungsfähigen Produkten (Assets) sich auf folgendes einigen:

  1.  OPC UA wird als Integrations-Framework zum Standard. Unter dieser Prämisse entstehen zeitnah einheitliche OPC UA Parametersätze, die die jewei­ligen fachspezifischen Rahmenbedingungen abdecken. Bislang fehlt in der diskreten Fertigung jedoch noch das einheitliche Vokabular dieser «Weltsprache der Produktion». Andere Branchen sind da bereits deutlich weiter.
  2. Die Verwaltungsschale wird als zentraler Integrationsstecker zum Standard und pro Asset mit ausgeliefert. Bislang fehlt jedoch die Bereitschaft der Hersteller.

Begriffsdefinitionen

  • OPC UA steht für «Open Platform Communications Unified Architecture» und beinhaltet eine Sammlung von Spezifikationen, die die Kommunikation im Umfeld der Industrieautomation standarisiert. Ein neuartiger und vielversprechender deutscher OPC UA Lösungsansatz zur Maschinenvernetzung ist «umati».
  • Assets sind vernetzungsfähige Dinge
  • Verwaltungsschale ist die digitale Repräsentation eines physischen Assets
  • I4.0-Komponenten sind Assets mit Verwaltungsschale
  • MOM ist die Abkürzung für Manufacturing Operations Management und ist die Erweiterung eines MES in Richtung IoT (Internet of Things)

Der Dreh- und Angelpunkt für «Plug & Produce» ist die Verwaltungsschale (VWS), deshalb möchte ich im Folgenden einige Details dazu erklären:
Die VWS enthält alle relevanten Informationen über das Asset einschliesslich seiner zu nutzenden Funktionen und deren Aufruf über die Industrie-4.0-Kommunikation. Sie ist in einen Header und einen Body untergliedert. Der Body kann mehrere Teilmodelle beinhalten. Die Teilmodelle bestehen aus einem streng
einheitlichen Formatbereich und aus einem variablen, Asset spezifischen, Formatbereich. Beispiele für Teilmodelle der VWS:

  • Digitales Typenschild
  • Digitale Betriebsanleitung
  • Digitale Lebenslaufakte
  • MES-Anbindung

Ein Asset wird erst durch eine «Unique Identification Number» in seiner Verwaltungsschale einzigartig und damit zu einer Entität (Bild).
Durch die oben beschriebenen Rahmenbedingungen können sich MES zu MOM Systemen, sprich kognitiven Assistenzsystemen, weiterentwickeln und «Plug & Produce» nutzen. Dabei geht es unter anderem auch darum von «Execution» (Ausführung und Steuerung) zu «Produktionsoptimierung durch Regelung» zu kommen. Nur so kann es gelingen die Produktion in den Hochlohnländer Schweiz, Deutschland und Österreich konkurrenzfähig und nachhaltig für die Zukunft auszurichten.
Meine Erwartungshaltung an die Indus­trie-4.0-Plattform ist es, dass es ihr gelingt ein Regelwerk (Data Governance) für die Digitalisierung zu erstellen, an das sich alle Asset Hersteller halten, ansonsten ist für mich der Begriff Industrie 4.0 gescheitert! Genau deswegen ist die «Deutsche Normungsroadmap Industrie 4.0 – Version 4» ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung (siehe: www.sci40.com/sci-4-0/normungsroadmap/).

Mein Aufruf
Um unsere Werkzeugdatenbank schneller befüllen zu können, haben wir vor 15 Jahren begonnen nur noch Werkzeuge von Lieferanten zu kaufen, die auch zusätzlich zum physischen Werkzeug eine DXF-Grafik mit ausgeliefert haben. Das gab damals einen Aufschrei in der Branche. Heute ist es für alle Werkzeug-
anbieter Usus ein 3D-Modul mitzuliefern. Wir sollten deshalb beginnen in Kaufverträge für Maschinen eine Klausel zu integrieren, die 5 Prozent vom Kaufpreis solange zurückhält bis eine Verwaltungsschale mitgeliefert beziehungsweise nachgeliefert wird. Lasst es uns probieren!
Im Sinne von «Lessons Learned» stelle ich abschliessend folgende Frage zur Diskussion: Was kann Industrie 4.0 von CIM lernen?
CIM steht für Computer Integrated Manufacturing, zu Deutsch Computer-integrierte Fertigung.
In den 90er-Jahren wurde unter diesem Begriff der Versuch gestartet, Computertechnik vollständig in die Fertigung zu integrieren. Dies war etwas zu optimistisch gedacht und musste mangels geeigneter Ressourcen (Hardware und Programmiersprachen) scheitern.
Von Computer unterstützter Fertigung (CAM) zu sprechen, wäre hingegen korrekt gewesen und wurde auch erreicht. Denn sobald nur ein Blatt Papier digital angezeigt wird oder ein Lochstreifen eingelesen wird, kann man mit Fug und Recht bereits von Computer unterstützter Fertigung (CAM) sprechen. Leider wurde und wird CAM falsch verwendet! CAM steht für Computer Aided Manufacturing, zu Deutsch Computer unterstützte Fertigung. CAM wäre der eigentlich richtige Begriff gewesen für das, was mit CIM begonnen
wurde. Unglücklicherweise haben sich die NC-Programmiersysteme den Begriff CAM unberechtigterweise einverleibt. Denn sie können die Anforderungen aller Manufacturing Bereiche nicht erfüllen. Besser wäre es gewesen, als Begriff CAP (Computer Aided Programming) für die NC-Programmiersysteme zu verwenden. Denn das können sie zweifelsfrei leisten. Der Begriff CAD wurde hingegen richtig gewählt. Denn CAD steht für Computer Aided Design, zu Deutsch Computer unterstütztes Konstruieren. Und das ist genau das, was CAD-Systeme ermöglichen: Sie unterstützen den Menschen beim Konstruieren.

Was hat Industrie 4.0 daraus gelernt?
Bei allen C-Begriffen steckte sowohl das Thema als auch bereits die Lösung im Namen. Der Begriff Industrie 4.0 bietet keinerlei Lösungsvorschläge an, sondern ist die Überschrift für die bereits in Teilen gelungene digitale Transformation. Einige der heutigen Ideen von Industrie 4.0 werden beziehungsweise sind bereits umgesetzt, einige andere Ideen werden scheitern oder komplett neu gedacht werden müssen.
Viele Jahre habe ich deshalb folgende Meinung vertreten: Es wird nicht möglich sein, ­irgendwann Industrie 4.0 als gescheitert zu ­bezeichnen, denn Industrie 4.0 hat kein ­Lösungsversprechen im Namen integriert, sondern spricht von einer industriellen Revolution. Eine industrielle Revolution wird definiert als bedeutsame und dauerhafte Umgestaltung wirtschaftlicher und sozialer Verhältnisse wie Arbeitsbedingungen und Lebensumstände, und das ist bereits in vollem Gange.
Diese Meinung revidiere ich und postuliere den Begriff Industrie 4.0 für die diskrete Fertigung als gescheitert zu betrachten, wenn es nicht gelingt dort «Plug & Produce» zu realisieren!

ZUM AUTOR
Dipl.-Ing. (FH) Johann Hofmann
Maschinenfabrik Reinhausen
Weidener Strasse 20
D-93057 Regensburg

T +49 (0)941 4090-1706
www.johannhofmann.info
j.hofmann@reinhausen.com

Mai

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