Das PTS im Einsatz.

Ausgabe 05 | 2021

Den Zerspanprozess optimieren

Dihawag AG, Hartmetall-Werkzeugfabrik Paul Horn GmbH

Kostendruck erschwert im globalen Umfeld komplexe Zerspanaufgaben. Materialschwankungen, enge Toleranzen und filigrane Werkzeuge machen die Situation nicht besser. Lösungen und die Suche nach optimaler Ausnutzung der Wertschöpfung sind seit Jahren Bestandteil der Forschung. Hinzu kommen resultierende Maschinenstillstandzeiten, welche durch die aufwendigen Einstellungen der Zerspanungswerkzeuge herrühren.

Es ist sinnvoll, eine Überwachung des Prozesses und der Werkzeuge einzusetzen, vor allem bei Arbeiten im Grenzbereich. Das Werkzeug als Schnittstelle zwischen Werkstück und Maschine hat hier eine elementare Funktion. Auf diese Art besteht die Möglichkeit, das Werkzeug und den Prozess zusammen zu überwachen, um entsprechend eingreifen zu können. Werkzeugnutzung bis zum realen Standzeit­ende, Prozessüberwachung hinsichtlich Vibrationen oder auch nur die Zertifizierung der einzelnen Bearbeitungsaufgaben zur Qualitätssicherung können Ziele einer erfolgreichen Produktherstellung sein. Mit entsprechender Datenverfügbarkeit und Datenaufbereitung erhöht sie die Wirtschaftlichkeit des gesamten Prozesses durch den punktuellen Eingriff aufgrund der Echtzeiterfassung. Daher haben HORN und die Kistler Instrumente AG zusammen das Piezo Tool System (PTS) entwickelt, welche kleinste Prozessdaten und Veränderungen erfasst.
Geringe Zerspankräfte erschweren das Messen der Be­lastung. Rauschen, KSS Druck, geringste Spindelstromänderung oder Körperschallmessungen funktionieren oft nicht hinreichend genau beziehungsweise liefern keine aussagekräftigen Resultate. Dies sind nachteilige Prozessbegleitumstände zum Beispiel beim Langdrehen.

Prozessdaten in Echtzeit nahe der Zerspanstelle
Mit dem PTS erhält der Maschinenbediener ein einzigartiges Messsystem zur Erfassung von Prozessdaten in Echtzeit nahe der Zerspanstelle. Die Möglichkeit, Rückschlüsse auf die noch verbleibende Lebensdauer des Werkzeugs zu ziehen, eröffnen neue Perspektiven bei der Werkzeugausnutzung. Der Maschinenbediener nimmt entsprechende Korrekturen aufgrund der Darstellung von Materialfehlern, Schneidendeffekten, Spanklemmern oder auch einem Werkzeugbruch vor. Dies minimiert den Ausschuss und maximiert die Lebensdauer der Werkzeuge.
In das Werkzeug integriert ist ein Piezo-Quarz-Sensor. Der Piezo Quarz gibt eine zur Belastung proportionale, messbare Ladung ab. Dabei spielen der exakte Einbau und die entsprechende Ausrichtung des Quarzes die entscheidende Rolle. Der Einbau muss zudem unter Vorspannung des Sensors beziehungsweise der Sensoren erfolgen, um in den ­linearen Arbeitsbereich des Sensors zu gelangen. Die Anpassung und Kalibrierung des Sensors passiert für jedes Werkzeug separat.
Je nach Werkzeug oder Einsatzgebiet kommen Schub- oder Druck-Sensoren zum Einsatz. Der im Werkzeug integrierte Sensor sitzt möglichst nah an der Zerspanstelle. Insbesondere bei der Messung kleinster Kräfte im Mikrodrehbereich ist dies vorteilhaft. Eine Umwandlung und Verstärkung des Messsignals in ein Spannungssignal geschieht in der PTS-Box. Die anschliessende visuelle Darstellung findet mithilfe der PTS-Software an einem separaten Bildschirm statt. Es besteht die Wahl zwischen verschiedenen Darstellungsmöglichkeiten: Belastungen (durchschnittlich oder maximal) oder Vibrationen. Das PTS zeichnet die Prozesskraft mit hoher Auflösung auf. Jedes Detail im Kraftverlauf des Zerspanprozesses ist somit sichtbar. Ein sprunghafter Anstieg der Prozesskraft kann verschiedene Ursachen haben: Ausbruch an der Schneide, Spanklemmer, Standzeitende. Wenn bereits Erfahrungen mit dem Prozess bestehen, kann eine eindeutige Zuordnung des Standzeitendes erfolgen.

Der Bediener ist gefragt
Das PTS arbeitet vorzugsweise mit stehenden Haltern, wie sie in Langdrehmaschinen oder auch in Mehrspindeldrehautomaten vorkommen, da die Sensoren noch ein Kabel benötigen. Rotierende Halter sind momentan ausgeschlossen. Dabei gilt der Grundsatz, je näher an der Zerspanstelle, desto genauer das Ergebnis. Insbesondere bei der Mikrozerspanung sind die Sensoren direkt im Schneidplattenhalter platziert. Der Einbau der Sensoren auf dem Linearkamm ermöglicht es, den gesamten Prozess beim Langdrehen zu überwachen. Bei grösseren Werkzeugen, wie zum Beispiel Grundaufnahmen für Mehrspindler, erfolgt der Einbau des Sensors im Halter in Kraftflussrichtung. Dem Einsatz unterschiedlicher Kassetten für ein und denselben Grundträger steht das PTS nicht entgegen.
Zum jetzigen Zeitpunkt erfolgt seitens PTS kein Eingriff in die Steuerung, es sei denn in Kooperation mit dem Maschinenhersteller. Der maschinenseitige Eingriff durch die Steuerung wäre somit machbar. Letztendlich soll aber auch nicht wegen jedem Spanklemmer die ganze Maschine stillstehen. Der Bediener ist gefragt! Schliesslich ist das PTS ein Überwachungstool, welches den Maschinenbediener unterstützt.
Das PTS ist keine Plug-&-play-Lösung. Eine gewisse Sensibilität muss der Maschinenbediener haben, die entsprechenden Daten zu erkennen und zu deuten. Nur so ergibt sich mit zunehmender Erfahrung eine hohe Wirtschaftlichkeit.
Die ersten Ergebnisse mit PTS sind vielversprechend. Die Firma Kistler testete das System in der eigenen Fertigung. Unerklärliche Standzeitschwankungen zwischen 20 und 100 Teilen beim Schlichten einer kritischen Ausdrehbearbeitung von Mikrohülsen galt es zu untersuchen und zu verbessern. Im ersten Schritt waren die Werkzeuge mithilfe von PTS bis Standzeitende im Einsatz. Standzeitschwankungen traten aber immer noch auf. Die Bestückung weiterer Werkzeuge mit Sensoren brachte die Lösung: Der Fehler lag in der vorgelagerten Schruppbearbeitung. Hier gab es immer wieder Ratterschwingungen, welche sich auf die Lebensdauer des Schlichtwerkzeuges auswirkten. Mittlerweile wurde die Schruppbearbeitung umgestellt, die Überwachung der Schlichtbearbeitung beibehalten und Kistler produziert nun wirtschaftlicher mit deutlich verbesserter Lebenszeit der Werkzeuge.

Optimierung der Wertschöpfungskette
Dies war der Anlass, das PTS-System für weitere Anwendungsfälle zu nutzen, beispielsweise auf Mehrspindeldrehautomaten mit modularen Werkzeugen (Grafik). Den Sensor in der Kassettenschnittstelle zu platzieren, erwies sich als weniger vorteilhaft, da die Kassetten ca. alle drei Monate gewechselt wurden.
Die Analyse der Festigkeit im Grundhalter führte zum Einbau des Sensors im Kraftfluss. Die Festigkeit des Halters änderte sich nur minimal. Das Ergebnis der Messung passte aber sehr gut.
In der Versuchsphase befinden sich zudem weitere Werkzeuge vom Typ Supermini zum Ausdrehen kleinster Bohrungen. Die Eignung des PTS für solche Minia­turanwendungen ist exzellent. Die Integration des Sensors geschieht entweder direkt im Keilspannelement des Schneidplattenhalters oder im Halter selbst, wobei die Erfahrungen aus der Konstruktion von Mehrspindler-Grundhaltern miteinfliesst. Somit stehen für verschiedenste Aufgaben eine Vielzahl an Werkzeugen zur Verfügung.
Die Erfassung der Prozess­daten mittels PTS ist unabhängig vom Alter der Maschinen. Oft kann es ausreichen, nur das kritischste Werkzeug eines Herstellungsprozesses zu betrachten. Der Maschinenbediener überblickt nun mehrere Maschinen gleichzeitig. Da nur die relevanten Daten aufgezeichnet werden, läuft man nicht Gefahr, eine riesige Datenblase, sogenannte Dark Data, zu generieren. Unerlässlich ist daher, die gewonnenen Daten auch nach Beendigung des Werkzeugeinsatzes sinnvoll zu analysieren und im Rahmen eventueller Industrie-4.0-Projekte zu in­teg­rieren und aufzubereiten. Nur so gelingt die Optimierung der Wertschöpfungskette.
Besteht keine Dokumenta­tionspflicht jedes einzelnen Arbeitsschrittes, sind die Daten durch entsprechende Filter auf das Notwendigste zu begrenzen. Ist das PTS bereits Bestandteil ­eines ERP-Systems, können Werkzeuge direkt bei Lebensdauerende durch entsprechende Informationsübermittlung schon an der Maschine bereitstehen. Zumindest innerhalb einer Produktion besteht dann aber die Notwendigkeit einheitlicher Datenstandards.

Störfallrelevante Einflussgrössen eliminieren
Letztendlich könnte das Einspielen der Daten in KI-Systeme den Mitarbeiter unterstützen, nicht nur Prozesse besser zu verstehen und entsprechend zu agieren, sondern auch Rüstzeiten zu minimieren und Maschinenstillstandzeiten möglichst zu verhindern. Eine funktionierende Datenverwendung durch das PTS verbessert die Maschinenauslastung und somit die Produktion massgeblich. Dies geschieht entlang der ganzen Prozesskette. Die bereichs- oder standortübergreifende Nutzung der Daten führt letztendlich dazu, weniger produktive Anlagen, bei gleichzeitiger Verschlankung der Produktion, auf ein höheres Niveau zu bringen.
Gelingt es, Zusammenhänge und Muster abzuleiten, können daraus faktenbasierte Prognosen entstehen. Vorbeugemassnahmen werden möglich, störfallrelevante Einflussgrössen eliminiert. Treten Abweichungen mit unbekannter Ursache auf, so kann dies auch auf den Zustand der Maschinen hindeuten und zum Beispiel Wartungsintervalle optimieren. Das PTS fungiert dann als Maschinenanalysetool.
Das PTS ist ein mächtiges Instrument, um die Auslastung von Produktionsanlagen, die Qualität der Produkte und die operative Effizienz auf der Basis von Daten zu verbessern. Mit zunehmender Digitalisierung und Datensteuerung etabliert sich das PTS zur Erhöhung der Wirtschaftlichkeit am Markt. Das grosse Interesse am PTS zeigt, dass der Anwender nach solchen Lösungen sucht. Möglich gemacht hat dies auch die schnelle Datenverarbeitung entlang der ganzen Prozesskette. PTS arbeitet hier unterstützend und im nächsten Schritt selbst eingreifend. Das Gewinnen von Daten in Fast-Echtzeit ermöglicht dem Maschinenbediener, auf Basis aktuellster Daten schnell zu agieren. Dabei geschieht der Abgleich des Werkzeugzustandes durch den Bediener, aber auch durch den Einkäufer oder Werkzeughersteller.
Daneben liefert das PTS den Produktionsverantwortlichen auf unterschiedlichen Ebenen neue Fakten über Werkzeuge und Anlagen, um Erkenntnisse aus Top-Performer-Werken/Anlagen auf weniger produktive Werke/Anlagen zu übertragen.
In Kooperation mit Maschinenherstellern wird an der Implementierung des PTS in die Steuerung gearbeitet. Die Arbeiten an einer kabellosen Datenübertragung sind weitere Ziele, damit die ganzheitliche Betrachtung zu ­einem Mehrwert des Prozesses führt.

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April

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Österreichs Fachmesse für Fertigungstechnik
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23. bis 26. April
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